Wie viele Manuskripte mussten Sie versenden,
bis Ihr erster Roman einen Verlag gefunden hat?
Ich habe die versandten Angebote
nicht gezählt, aber es müssen so zwischen zwei-
und fünftausend gewesen sein. Absagen habe ich,
glaub ich, ungefähr doppelt so viele bekommen.
Doch irgendwann hat eine Lektorin eines meiner
Manuskripte aus dem turmhohen Stapel unverlangt
eingesandter Texte rausgezogen und fand es gut. Puh.
Warum spielen Ihre Romane in der Vergangenheit?
Ich glaube, dass man die Gegenwart nur verstehen
kann, wenn man die Vergangenheit kennt. Und um die
Vergangenheit kennenzulernen, muss man sich mit
ihr auseinandersetzen. Ob es um die Antike geht, ums
Mittelalter oder um die NS-Zeit – man muss so tief wie
möglich eintauchen und in alle Richtungen schauen,
um die Zusammenhänge zu begreifen. Aber wenn
endlich mal jemand eine Zeitmaschine erfindet, hör ich
sofort auf zu schreiben. (Na ja, vielleicht auch nicht.)
Sie schreiben für Erwachsene und für Jugendliche.
Was machen Sie lieber?
Meine Jugendbücher sind ein bisschen dünner als
die Erwachsenenromane, ich glaube, das ist so
ziemlich der einzige Unterschied. Ob Jugendbuch oder
Erwachsenenroman, mein Anspruch beim Schreiben
ist immer derselbe: Ich hab eine Geschichte, die mich
fasziniert, und will sie erzählen.
In Ihrem Jugendbuch "Die verlorenen Schuhe" geht
es um die Flucht aus Schlesien im Winter 1944/45.
Interessiert sich eigentlich irgendein Jugendlicher für
so ein Thema?
Bei meinen Lesungen aus dem Buch habe ich festgestellt,
dass die Schülerinnen und Schüler mit sehr viel mehr
Neugierde und Interesse an die Geschichte von Flucht und
Vertreibung herangehen als meine eigene Generation.
Außerdem sind die Enkel der Vertriebenen oft viel besser
über die Vorgänge informiert als ihre Eltern. Vermutlich hängt es damit zusammen, dass die Jugendlichen das
Ganze eben nicht nur als belastende Vergangenheit
empfinden, sondern einfach auch als eine spannende
Geschichte.
Welcher Ihrer Romane liegt Ihnen besonders am
Herzen und warum?
Ich liebe sie alle, auch die hässlichen und buckligen, ich bin
ja ihre Mutter. Aber das Buch, an dem gerade arbeite, liebe
ich immer noch ein bisschen mehr als die Vorgänger. Weil
ich mich ja auch Tag und Nacht damit beschäftige.
Wo kommen die Ideen für Ihre Bücher her?
Von hier und von dort. Manchmal kommen sie mir im
Schlaf. Manchmal überfallen sie mich unter der Dusche.
Oft klaue ich sie aus Gesprächen, die ich zufällig mitanhöre
– in der U-Bahn oder im Supermarkt an der Kasse.
Manchmal finde ich sie auch beim Joggen am Wegrand.
Man muss nur richtig hinschauen, dann entdeckt man sie
überall.
Wie arbeiten Sie? Wissen Sie am Anfang eines
Buchs schon ganz genau, wie es ausgeht?
Ich gehe die Sache natürlich strukturiert und
vorausschauend an. Das heißt: Ich schreibe am Anfang ein
ausführliches Exposé, das ich dann systematisch umsetze.
Jedenfalls ein paar Kapitel lang. Danach übernehmen
meine Protagonisten die Kontrolle. Sie entwickeln nämlich
schnell ein Eigenleben und machen dann nicht mehr, was
ich mir für sie ausgedacht habe, sondern nur noch, was
sie wollen. Sie steigen in die falschen Züge, sie ergreifen
die falschen Berufe und sie verlieben sich in die falschen
Personen. Sie treffen die unmöglichsten Entscheidungen,
und ich als Autorin kann dann zusehen, wie ich die
Geschichte trotzdem zu einem vernünftigen Ende bringe.
Kann man vom Schreiben überhaupt leben?
Diese Frage mag ich nicht. Deshalb will ich sie auch
niemals mehr hören.
Wenn Sie Ihre bereits veröffentlichten Romane
noch einmal zur Hand nehmen, entdecken Sie dann
Textstellen, die Sie heute ganz anders schreiben
würden?
Ja, natürlich. Ich würde vor allem streichen, streichen,
streichen. Adjektive, Füllwörter, ganze Sätze, Abschnitte,
Seiten. Alles raus, unnützer Ballast, weg damit! Bei jedem
Korrekturgang kürze ich wie von Sinnen, wenn die Bücher
nicht irgendwann gedruckt würden, dann würde am Ende
überhaupt nichts mehr übrig bleiben.
Wie arbeiten Sie an Ihrem Schreibstil?
Indem ich lese. Empfehlungen von Freunden und Kritikern,
Zufallsfunde, Klassiker und Bestseller, Krimis und
Jugendbücher und Zeitungen und Gedichte. Ich lese jeden
Tag und in jeder freien Minute. Lesen bildet nämlich – auch
den Schreibstil.
Und wie recherchieren Sie?
Wenn es noch Zeitzeugen gibt, stürze ich mich auf sie
und quetsche sie aus. Darüber hinaus lese ich natürlich
auch sehr viel Fachliteratur, ich gehe in Archive und in
Stadtmuseen und Experten auf die Nerven. Um ein Gefühl
für die Sprache der Zeit zu bekommen, lese ich nebenher
fast nur Romane, die in der Zeit geschrieben wurden, in der
mein Buch spielt.
Manchmal ist dieses Suchen und Nachfragen und Im
Nebel-Stochern nervig. Aber meistens ist es eben
ungeheuer spannend. Wenn sich Querverbindungen
auftun und sich eins zum anderen fügt und man endlich die
Zusammenhänge versteht. Und wenn man Leute trifft, die
man sonst niemals kennengelernt hätte. Das Schöne ist,
dass man am Anfang nie weiß, wo man am Ende ankommt.
Wenn Sie nicht schreiben würden ...
... wäre ich Schlammcatcherin. Oder Primaballerina.
Und wie gehen Sie mit negativer Kritik um?
Ich ignoriere sie einfach. Was kümmert mich die Meinung
der Leute? Überhaupt nicht. Ich könnte die Rezensenten
würgen, treten, beißen und kratzen. Aber ich tu es nicht.
Ich bin die Ruhe selbst. Schlechte Kritik lässt mich
vollkommen kalt (Das ist mein Mantra. Man muss es oft
genug aufsagen, dann glaubt man irgendwann daran.)
Wissen Sie bei der Arbeit an einem Buch
schon, was Sie als Nächstes schreiben
werden?
Ein Freund von mir verreist so gerne. Wenn er
aus einem Urlaub zurückkommt, hat er schon den
nächsten und den übernächsten geplant und die
vier Kurzreisen dazwischen auch, und dennoch wird
die Liste seiner Ziele nicht kürzer, sondern immer
länger. Für ihn ist die Welt unendlich groß. Für mich
auch.